Lass mich bitte sitzen!
Es geschieht in den Monaten März bis August immer wieder, dass man einen scheinbar hilflosen Jungvogel auf dem Boden findet. Meist ist es jedoch so, dass er unsere Hilfe gar nicht benötigt.
Die meisten Singvogelarten verlassen das Nest noch bevor sie richtig fliegen können. Diese so genannten „Ästlinge“ sind voll befiedert. Nur die Schwanzfedern sind noch kürzer als bei den Altvögeln und ein Rest Flaum findet sich auf dem Kopf. Sie verstecken sich meist im Gebüsch und in Sträuchern, wo sie von den Altvögeln versorgt werden. Um keine Aufmerksamkeit auf sich zu lenken, warten sie meist recht bewegungslos und auf einer Stelle hockend. Gelegentliche Rufe dienen dem Kontakt zu den Altvögeln, auch wenn er noch so kläglich klingen mag.
Dieser hilflose oder kranke Eindruck täuscht. Lassen Sie den Vogel bitte sitzen oder setzen Sie ihn, wenn Sie glauben, dass er an einer gefährlichen Stelle (am Straßenrand, in einer Einfahrt, mitten auf der Wiese für alle Raubtiere sichtbar etc.) hockt, in ein Gebüsch in der Nähe. Keine Sorge, das Anfassen des Jungtieres stört die Altvögel in keiner Weise. Innerhalb von 2 Stunden sollten sich die fütternden Altvögel beobachten lassen. Dann ist alles in Ordnung.
Aber nicht jeder aufgefundene Jungvogel ist ein Ästling. Hilfe bedarf der junge Vogel, wenn er:
- verletzt ist - er blutet, ein Flügel hängt oder ein Bein wird nicht belastet
- zu jung (nicht oder nicht vollständig befiedert) und das Nest nicht erreichbar ist
- durch ein Säugetier, wie z. B. eine Katze, verletzt oder gebracht wurde – die im Katzenspeichel enthaltenen Bakterien sind für Vögel meist tödlich. Eine Antibiotika-Behandlung sollte daher dringend und so schnell wie möglich erfolgen!
- durch Unwetter durchnässt oder unterkühlt ist - dann kann man ihn nach dem Trocknen und Aufwärmen aber wieder dort herauslassen, wo er gefunden wurde (beobachten, ob die Altvögel ihn wiederfinden)
- durch große Hitze einen Hitzschlag bekommen hat; er hechelt und ist apathisch, eventuell hat er Gleichgewichtsstörungen. Setzen Sie ihn in den Schatten und geben Sie ihm Flüssigkeit tropfenweise an den Schnabelrand (nie direkt in den Schnabel oder in die Nasenlöcher!). Ist der Vogel wieder fit, in der Regel nach ein paar Stunden, kann er seinen Eltern zurückgegeben werden (auch hier beobachten, ob die Altvögel zurückkommen)
- krank ist - er wirkt apathisch, stark aufgeplustert, reagiert kaum oder gar nicht auf Berührungen, hat Gleichgewichtsstörungen oder liegt auf der Seite. Bitte suchen Sie baldmöglichst einen vogelkundigen Tierarzt auf
- ausgehungert ist – sollte der Vogel nicht abgemagert sein, kann man das anhand seines Kotes feststellen: macht er einen weißen Klecks mit dunkler Mitte, wird er bestens versorgt, macht er nur einen weißen Klecks, hat er seit etwa 2 Stunden nichts mehr bekommen. Nicht unbedingt ein Grund zur Sorge, manchmal benötigen die Altvögel eine längere Zeit für die Nahrungssuche. Beobachten Sie in ausreichender Entfernung, ob fütternde Altvögel sich nähern. Ist der Klecks durchsichtig flüssig oder gar intensiv grün, hat er über einen langen Zeitraum nichts bekommen. Dieser Jungvogel wurde ziemlich sicher verlassen. Meist kann auch noch ein spitzes Brustbein gefühlt werden. Nehmen Sie den Jungvogel auf und nehmen Sie schnellstmöglich Kontakt zu fachkundigen Wildvogelstellen auf.
Da bei der Versorgung von Jungvögeln einiges unwissentlich falsch gemacht werden kann, sollten Sie den Jungvogel schnellstmöglich in fachkundige Hände geben. Bitte sehen Sie dringend davon ab, gefundene Jungvögel mit Futter und/oder Wasser zu versorgen, da dies ggf. sonst tödlich enden kann.
Bild: Sonnentau